Autoindustrie
Autoindustrie, Foto: pixabay

Die Automobilbranche steht weltweit unter starkem Transformationsdruck. Analyst John Murphy von der Bank of America warnt vor massiven Fehleinschätzungen der letzten Jahre. Seine Analyse offenbart gravierende Risiken, vor denen Hersteller und Investoren aktuell stehen. In fünf zentralen Punkten zeichnet er ein Bild der kommenden vier Jahre, das vor allem Unsicherheit und Milliardenverluste verspricht. Die deutschen Autobauer sind von diesen Entwicklungen in besonderem Maße betroffen.

Inhaltsverzeichnis:

Milliardenverluste bei E-Autos

Hersteller haben Milliarden in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen investiert, doch viele Projekte erweisen sich nun als unrentabel. Das größte Risiko sieht Murphy in der Elektrifizierung. Skalenvorteile blieben bislang aus. Viele Unternehmen machen mit ihren E-Modellen weiterhin Verluste. Der Experte geht davon aus, dass zahlreiche dieser Investitionen in den kommenden Jahren abgeschrieben werden müssen.

Ein erstes Beispiel liefert Ford. Das Unternehmen hatte bereits 2023 eine Abschreibung in Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar vorgenommen, nachdem ein geplantes elektrisches SUV-Modell gestrichen wurde. Murphy erwartet, dass derartige Abschreibungen zur neuen Normalität in der Branche werden. Auch Volkswagen musste bei seinem elektrischen Modell Porsche Macan Verzögerungen hinnehmen, da Softwareprobleme bei der Tochter Cariad auftraten. Dies zeigt die strukturellen Herausforderungen der Branche bei der Transformation.

Rückkehr zu Verbrennern

Infolge der Unsicherheiten rund um die Elektromobilität kehren viele Hersteller zu konventionellen Antrieben zurück. Diese Fahrzeuge gelten als profitabler und sichern die Liquidität der Konzerne. Murphy spricht von einer drohenden „Eiszeit“ bei der Entwicklung neuer Elektrofahrzeuge. Viele geplante Modelle würden verschoben oder gestrichen.

Besonders in den USA ist dieser Trend deutlich. Hersteller wie General Motors und Ford setzen wieder verstärkt auf Limousinen und Pickup-Modelle. Auch in Europa erwägen Unternehmen wie BMW oder Mercedes-Benz eine Rückbesinnung auf effiziente Verbrennertechnologien. Diese Entwicklung könnte auch durch politische Entscheidungen beeinflusst werden – etwa durch Förderkürzungen oder niedrigere Kraftstoffpreise.

Krise in China

Der chinesische Automobilmarkt, der größte der Welt, steckt laut Murphy in einer tiefen Krise. Die Preise für Autos sind dort in den letzten zwei Jahren um durchschnittlich 19 Prozent gefallen. Für Hybrid-Fahrzeuge betrug der Rückgang sogar 27 Prozent, bei Elektroautos 21 Prozent. Ursache sei eine massive Überproduktion. Hunderte chinesische Hersteller stehen demnach vor dem Aus.

Murphy erwartet eine gewaltige Konsolidierungswelle in der Volksrepublik. Nur wenige Unternehmen könnten überleben. Gleichzeitig versuchen chinesische Hersteller, durch Exporte nach Europa und Nordamerika zu wachsen. Murphy plädiert daher für Importzölle, um US- und EU-Märkte vor den billigen Fahrzeugen aus China zu schützen. Die Gefahr eines Preisverfalls in westlichen Märkten sei real und könne zu neuen Verlusten führen.

Weniger Modelle

In den kommenden Jahren wird die Zahl neuer Automodelle sinken. Der Crossover-Boom der letzten Jahrzehnte sei laut Murphy vorbei. Hersteller müssten ihre Modellpaletten verschlanken, um Kosten zu sparen und Margen zu sichern.

Beobachtbar sei eine Rückkehr zu profitablen Nischen. Dazu gehören vor allem große Limousinen und Nutzfahrzeuge wie Pick-ups. Dies zeigt sich deutlich bei US-Marken. Aber auch europäische Hersteller wie Renault oder Peugeot kündigten bereits an, weniger neue Modelle zu entwickeln. Die Zeiten, in denen jährlich dutzende neue Karosserievarianten auf den Markt kamen, seien vorbei.

Hoffnung durch Software

Trotz aller Herausforderungen sieht Murphy Chancen in der Digitalisierung der Fahrzeuge. Software, Vernetzung und nachträgliche Upgrades eröffnen neue Geschäftsmodelle. Der sogenannte Aftermarket – also nachträgliche digitale Dienste wie Navigationssoftware, erweiterte Sicherheitsfunktionen oder Entertainment-Systeme – wird als zukunftsträchtiger Bereich identifiziert.

Die Bank of America schätzt das Marktvolumen für fahrzeugbezogene Softwarelösungen weltweit auf etwa 2,4 Billionen US-Dollar. Rund 50 Prozent davon fließen bisher an Drittanbieter außerhalb der Automobilbranche. Murphy fordert, dass die Hersteller stärker mit ihren Händlern kooperieren, um diese Erlöse selbst zu generieren. Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW investieren inzwischen massiv in eigene Softwareplattformen, um nicht von US-Technologiekonzernen abhängig zu bleiben.

Die Analyse von Murphy trifft einen empfindlichen Nerv in der globalen Automobilbranche. Besonders deutsche Hersteller sehen sich mit der doppelten Herausforderung konfrontiert: Milliardenabschreibungen bei E-Autos und Versäumnisse bei der Softwareentwicklung. Zwar steigen die Verkaufszahlen für Elektroautos in Europa wieder leicht, doch die hohen Batteriekosten sorgen weiterhin für Margennachteile.

Die nächsten vier Jahre gelten als entscheidend für die strategische Ausrichtung der Branche. Wer jetzt falsche Entscheidungen trifft, riskiert nicht nur Verluste – sondern den Anschluss an den Weltmarkt.

 Quelle: Focus