E-Mobilitätskrise
E-Mobilitätskrise, Foto: pixabay

Steigende Investitionskosten, sinkende Margen und globale Umwälzungen bringen Deutschlands Autozulieferer an ihre Grenzen. Fast 270.000 Arbeitsplätze stehen im Feuer.

Druck auf Bosch, Continental und ZF wächst

Die deutsche Zulieferindustrie befindet sich in einer historisch schwierigen Lage. Während die globale Automobilproduktion langsam wieder wächst, bleibt Europa weit hinter früheren Zahlen zurück. Statt 19 Millionen Fahrzeugen wie vor Corona werden es bis 2030 nur 16 bis 17 Millionen pro Jahr sein.

Besonders betroffen sind Traditionsunternehmen wie Bosch, Continental und ZF. Diese stehen vor gleich vier Transformationen: dem Übergang zum E-Antrieb, der Digitalisierung durch Software, dem Trend zum autonomen Fahren sowie dem Umbau ihrer eigenen Organisationsstrukturen. Die Transformation verläuft dabei deutlich langsamer als erwartet.

Die EBIT-Marge der Branche ist von über 7 % vor der Pandemie auf aktuell unter 5 % gesunken. Für 2024 wird nur noch ein Durchschnitt von 4,7 % erwartet. Bei europäischen Zulieferern liegt sie sogar nur bei 3,6 %. Gleichzeitig steigen die Investitionskosten für neue Technologien rapide.

Produktionsprognosen nach Region

Region Produktion (in Mio., Prognose 2030)
Europa 16,5
Nordamerika 17
China 30
Globaler Süden 29

E-Mobilität trifft auf Realitätscheck

2023 gingen Experten noch davon aus, dass E-Autos bis 2030 mehr als 50 % des Marktes ausmachen würden. Neue Prognosen senken den Anteil nun auf lediglich 41–42 %. Das hat gravierende Folgen.

Zulieferer müssen nun parallel mehrere Antriebstechnologien liefern. Die Nachfrage in Europa stagniert, während der chinesische Markt dominiert – dort ist bereits jedes zweite verkaufte Auto ein E-Modell. Die Anpassung an diesen Flickenteppich erfordert:

  • hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung
  • regionale Produktanpassungen
  • komplexe Produktionsstrategien

Software und China verändern die Spielregeln

Bis 2030 werden Hersteller jährlich 43 Milliarden Dollar für Automobilsoftware ausgeben. Die Nachfrage verlagert sich weg von mechanischen Komponenten hin zu Software, KI und Chips. Doch die Software-Margen liegen mit 35,5 % weit über denen traditioneller Zulieferer.

Chinesische Firmen holen massiv auf. Ihr Anteil am Umsatz der 100 größten Zulieferer hat sich seit 2018 fast verdoppelt. Der Batteriehersteller CATL droht sogar, Bosch als weltweit führenden Zulieferer abzulösen.

Chinesische Hersteller setzen auf heimische Partner, auch deutsche Automarken folgen: VW arbeitet mit Xpeng, Audi mit Huawei. Wer mithalten will, muss in „China-Speed“ agieren. Das heißt:

  • Entscheidungen binnen 24 Stunden
  • Produktion binnen 6–10 Monaten
  • Lokale Präsenz und Entwicklung in China

Regionale EBIT-Margen

Region Durchschnittliche EBIT-Marge (%)
Europa 3,6
Südkorea 3,4
China 5,7

Finanzielle Notlage verschärft die Situation

Mehr als 40 % der 25 größten Zulieferer gelten inzwischen als "Non-Investment-Grade". Ihre Bonität reicht nicht mehr aus, um günstige Kredite zu erhalten. Damit entsteht eine gefährliche Spirale:

  1. Schlechte Bonität führt zu hohen Zinsen
  2. Höhere Zinslast senkt das EBIT
  3. Weniger Geld für Innovationen
  4. Sinkende Wettbewerbsfähigkeit
  5. Weitere Abstufung der Kreditwürdigkeit

Gleichzeitig ist die Mitarbeiterzahl trotz stagnierender Umsätze seit 2016 gestiegen. Der Umsatz pro Mitarbeiter sinkt. Viele Unternehmen reagieren jetzt mit Personalabbau von 5–10 %.

Strategien von Schaeffler und Vitesco als Vorbild

Um zu überleben, müssen Zulieferer ihr Geschäftsmodell überdenken. Die Unternehmensberatung Roland Berger empfiehlt drei zentrale Maßnahmen:

1. Fokussierung und Kooperation

  • Reduktion der Produktpalette
  • Konzentration auf wachstumsstarke Segmente
  • Fusionen und Partnerschaften, wie bei Schaeffler und Vitesco

2. Regionale Neuausrichtung

  • Aufbau lokaler Lieferketten in Europa, USA und China
  • "Local for Local" wird Standard

3. Kostenmanagement

  • Automatisierung und Digitalisierung
  • Produktionsverlagerung in günstigere Länder
  • Umschichtung von Verbrenner-Gewinnen in Zukunftstechnologien

EBIT-Margen nach Segment

Segment EBIT-Marge (%)
Reifenhersteller 7,4
Elektronik & Infotainment 4,0
Traditionelle Zulieferer 4,7

Die Industrie im Umbruch

Die Branche steht vor einer existenziellen Entscheidung. Der klassische Autozulieferer, geprägt von Maschinenbau und mechanischen Komponenten, wird zunehmend abgelöst. Softwareunternehmen und Elektronikexperten gewinnen die Oberhand.

Die Überlebenden werden jene sein, die ihre Strukturen, Produkte und Denkweisen radikal verändern. Wer nicht handelt, verliert – an Märkte, Talente und Innovation.

Quelle: Focus